Die Quintessenz von Ramana Maharshis Lehre ist im Büchlein ‘Who am I?’ (‚Wer bin ich?‘) zu finden. Es enthält die ersten Unterweisungen von ihm. Sie kommen aus seiner direkten Erfahrung der Selbstverwirklichung. Die Originalfragen stammen von Sivaprakasam Pillai. ‘Who am I?’ wurde später von Ramana Maharshi in Prosaform vorgelegt.

Diese machtvolle Lehre kann jeder erfahren, der sie in die Praxis umsetzt. In Talks with Sri Ramana Maharshi, Talk 80 heißt es: „Finde heraus, wer denkt? Woher kommen die Gedanken? Sie müssen dem bewussten Selbst entspringen. Sogar wenn man das nur halbwegs begreift, hilft das schon, das Ego zu vernichten. Dann wird die Verwirklichung des einen unendlichen Seins möglich. In diesem Zustand gibt es keine Individuen, sondern nur das ewige Sein. Deshalb gibt es auch keinen Gedanken an den Tod oder Kummer.“ Die volle Lehre von „Who am I?“ können Sie hier downloaden. Es folgt eine bearbeitete Version zum leichteren Verständnis.

Who Am I?
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Wer bin ich?

Jedes Lebewesen möchte stets glücklich und sorgenfrei sein und jeder liebt sich selbst am meisten, denn das Glück ist sein wahres Wesen. Um dieses ihm innewohnende, makellose Glück zu erlangen, das er täglich im Tiefschlaf erfährt, wenn der Geist unterworfen ist, muss er sich selbst erkennen. Hierfür ist die Ergründung „Wer bin ich?“, die Suche nach dem Selbst, der beste Übungsweg.

“Wer bin Ich?” Ich bin reines Gewahrsein. Dieses Gewahrsein ist seinem Wesen nach Sein-Bewusstsein-Seligkeit (Sat-Chit-Ananda).

Wenn der Geist, der das Instrument des Wissens und die Grundlage sämtlicher Tätigkeiten ist, verebbt, hört die Wahrnehmung der objektiven Welt auf. Solange man ein Seil für eine Schlange hält, kann man das Seil, das die Grundlage der Täuschung ist, nicht erkennen. (Diese Analogie beruht auf der traditionellen Geschichte von einem Mann, der in der Dämmerung ein Seil für eine Schlange hält und sich grundlos fürchtet.) Solange die illusionäre Vorstellung einer objektiven Welt nicht aufhört, kann sich das wahre Wesen des Selbst, das der Illusion zugrunde liegt,  nicht zeigen.

Der Geist ist eine wundersame Kraft, die dem Selbst innewohnt. Sie ist die Ursache für sämtliche Gedanken. Ohne Gedanken gibt es kein solches Ding wie den Geist. Deshalb sind die Gedanken das Wesen des Geistes. Ohne Gedanken gibt es kein unabhängiges Wesen, das wir die Welt nennen. Im Tiefschlaf gibt es keine Gedanken und auch keine Welt. Im Wachen und Träumen gibt es Gedanken und deshalb auch eine Welt.

Genauso wie die Spinne den Faden für ihr Netz aus sich selbst herauszieht und ihn wieder in sich selbst zurückzieht, projiziert der Geist aus sich selbst heraus die Welt und löst sie wieder in sich auf. Wenn der Geist das Selbst verlässt, tritt die objektive Welt in Erscheinung. Deshalb zeigt sich das Selbst nicht, wenn die Welt erscheint, und wenn das Selbst erstrahlt, zeigt sich die Welt nicht.

Wenn man beständig das Wesen des Geistes erforscht, verebbt der Geist und lässt das Selbst zurück. Den Geist gibt es nur, weil er sich stets auf etwas Materielles (den Körper) bezieht. Er kann nicht aus sich selbst bestehen. Er wird auch der feinstoffliche Körper oder die Seele genannt.

Was im Körper als “Ich“ aufsteigt, ist der Geist. Wenn man untersucht, wo im Körper sich der Ich-Gedanke zuerst manifestiert, wird offensichtlich, dass es im Herzen geschieht, denn das Herz ist die Geburtsstätte des Geistes. Selbst wenn wir beständig „Ich-Ich“ denken, werden wir zu jenem Ort (i. e. dem  Herzen) geführt. Von allen Gedanken, die sich im Geist zeigen, ist der Ich-Gedanke der erste Gedanke. Erst nachdem er aufgetaucht ist, tauchen die anderen Gedanken auf.

Der Gedanke „Wer bin ich?“ vernichtet alle anderen Gedanken und verbrennt schließlich selbst, wie der Stock, mit dem man den Scheiterhaufen umrührt. Dann ist es Selbstverwirklichung. Wenn andere Gedanken auftauchen, dann denke sie nicht zu Ende, sondern erforsche eifrig: „Wer ist es, dem dieser Gedanke kommt?“ Es spielt keine Rolle, wie viele Gedanken dir kommen. Sobald sich ein Gedanke bildet, erforsche aufmerksam: „Wem kommt dieser Gedanke?“ Die Antwort lautet: „mir“. Wenn du weiterforschst: „Wer bin ich?“, kehrt der Geist zu seinem Ursprung zurück und der auftauchende Gedanke verblasst.

Wenn du das ausdauernd praktizierst, wächst die Kraft des Geistes, in seiner Quelle zu bleiben. Wird der subtile Geist durch den Verstand und die Sinnesorgane nach außen gerichtet, treten grobstoffliche Namen und Formen in Erscheinung. Bleibt er aber im Herzen, verschwinden sie. Wenn man dem Geist nicht erlaubt, nach außen zu wandern, und ihn im Herzen zurückhält, spricht man von “nach innen gerichtet sein“. Wird er vom Herzen nach außen gelassen, spricht man von “nach außen gerichtet sein“. Wenn der Geist auf diese Weise im Herzen verweilt, verschwindet der Gedanke „ich“, der die Ursache aller anderen Gedanken ist, und das ewig währende Selbst erstrahlt.

Es gibt kein besseres Mittel als die Ergründung, um den Geist dauerhaft zur Ruhe zu bringen. Wird der Geist durch andere Methoden unter Kontrolle gebracht, ist er nur scheinbar unterworfen und erhebt sich wieder. So wird er durch Atemkontrolle ruhig. Doch er bleibt nur solange ruhig, wie der Atem kontrolliert wird. Wird der Atem nicht länger reguliert, so wird der Geist wieder aktiv und beginnt seine Wanderschaft von neuem.

Ebenso wie die Atemkontrolle sind auch die Meditation einer Gestalt (eines Götterbildnisses), Wiederholungen von Mantren und Regeln fürs Essen zeitweilige Hilfsmittel, um den Geist zu beruhigen. Durch die Meditation einer Gestalt und durch die Wiederholung von Mantren sammelt sich der Geist. Für einen solch gesammelten Geist ist Selbstergründung leicht. Indem man Regeln fürs Essen beachtet, verbessert sich die Qualität des Geistes, was für die Selbstergründung hilfreich ist.

Wie sündig ein Mensch auch sein mag, wenn er nur beharrlich über das Selbst meditiert, wird er sich bestimmt verändern.

Man sollte dem Geist nicht gewähren, sich weltlichen Objekten und den Belangen anderer Leute zuzuwenden.

Wie schlecht andere Leute auch sein mögen, man sollte sie nicht hassen.

Alles, was man anderen gibt, gibt man sich selbst. Wenn man diese Wahrheit einmal verstanden hat, wer wird dann nicht anderen geben?

Wenn das eigene Selbst auftaucht, taucht alles andere auf. Wenn man selbst stille wird, wird alles still.

Je demütiger wir sind, desto besser.

Wenn der Geist still geworden ist, kann man überall leben.

In Wahrheit existiert nur das Selbst. Welt, Individuum und Gott sind Erscheinungen im Selbst wie das Silber, das man in einer Perlmuttschale sieht. Alle drei treten gleichzeitig in Erscheinung und verschwinden auch wieder gleichzeitig. Im Selbst gibt es überhaupt keinen Ich-Gedanken. Das nennt man „Stille“. Das Selbst ist die Welt, das individuelle Ich und Gott. Alles ist Siva, des Selbst.

Wer sich dem Selbst, das heißt Gott hingibt, ist der beste Devotee. Sich Gott hinzugeben bedeutet, sich beständig an das Selbst zu erinnern. Wie groß die Last auch ist, die du Gott auflädst, Er wird sie tragen. Da eine göttliche Macht alles bewirkt, was geschieht, warum sollten wir uns nicht ihr überlassen und immerzu darüber nachdenken, was wir tun oder nicht tun sollen und wie. Wir wissen doch, dass der Zug alle Lasten trägt. Warum legen wir dann unser kleines Bündel nicht ab, wenn wir eingestiegen sind, und machen es uns bequem, anstatt uns selbst zu quälen, indem wir es weiterhin auf dem Kopf behalten?